Die Fraisenkette zwischen Glauben und Aberglauben

Der Mensch versucht seit jeher Unheil von sich fernzuhalten. Einerseits tut er das durch vorbeugendes Handeln und andererseits bekämpft er bereits vorhandene Übel. Einst spielte dabei der Glaube an eine „Höhere Gewalt“ eine wesentliche Rolle. In Bayern wie auch in Österreich besteht nach wie vor der größte Anteil von Menschen der christlichen Religion aus katholischen Gläubigen. Im Katholizismus war es üblich, Gott, die heilige Familie und alles, was die katholische Kirche betraf, bildhaft oder plastisch darzustellen. Jesus Christus in Form einer Statue anzubeten, ist nichts Außergewöhnliches für Gläubige. Ungeachtet dessen, was die Institution Kirche mit bildhaften Darstellungen zu beabsichtigen suchte, ist der Gedanke, anhand eines „Abbildes“ das Gebet zu fördern und zu erleichtern, nachvollziehbar. Alle Sinne ansprechen! – So lautet auch heutzutage das Credo. Schaut man auf eine Figur und darf man diese auch noch berühren, ist eine Verbindung hergestellt. Als Exkurs will ich die im Petersdom in Rom befindliche Bronzefigur des Heiligen Simon Petrus erwähnen (um 1300 von Arnolfo di Cambio), dessen Füße aufgrund der unzähligen Berührungen von Pilgernden bereits abgegriffen sind.

Abseits der Kirche wurde auch profanen Gegenständen Heilskräfte nachgesagt - eben auch in Form von Berührung. Manchmal war ein solcher Gegenstand gekoppelt an eine Handlung. Dies alles fiel unter den Sammelbegriff „Aberglaube“. Jedoch ist unklar, wo genau die Grenze zwischen Glauben und Aberglauben verlief. Oftmals floss beides ineinander. 

Ein besonderes Objekt, das sich weder von Glauben noch Aberglauben trennen lässt, ist die „Fraisenkette“. Die einstmals bezeichnete „Frais“ oder „Froas“ steht für furcht- und schreckenerregende sowie wut- und zornbezeichnende Zustände. Seltener waren alte Menschen davon betroffen, viel häufiger waren es Kinder. Die Heilungsversuche waren vielseitig. Man riet, eine Brautschürze unter den Kopf des Kindes zu legen oder ein Bad in dem Wasser eines Baches zu nehmen, worüber eine Leiche getragen wurde. Ursache dieser krampfhaften Schübe sind ungeklärt, vermutlich waren auch Schrecken und Leid in der Schwangerschaft Gründe für die „Froas“. Deshalb erhoffte man sich Heil durch eine Ohrfeige oder Lärm. Denn durch Schrecken kam sie, und durch Schrecken konnte sie auch wieder gehen. 

Eine Fraisenkette besteht aus Amuletten, Gegenständen aus unterschiedlichen Materialien, die man am Körper trug. Sie hatte den Zweck, die „Froas“ fernzuhalten. Dass sie eine ungerade Anzahl an Amuletten aufweisen musste, entspringt dem Glauben an die Religion wie jenem an die Magie. Die Amulette sollten magische Kräfte aktivieren sowie als Medizin fungieren. Der Begriff „Medizin“ wurde vor der wissenschaftlichen Schulmedizin nicht so abgegrenzt gesehen wie heute.

Unser Exponat aus dem Heimathaus (siehe Abb. 1) zeigt zwölf Anhänger, wovon einer zu einem späteren Zeitpunkt angebracht worden war. Im Uhrzeigersinn von links oben beginnend, zeigt die Kette 1) einen Korallenast, 2) eine 15-Kreuzer-Münze aus dem Jahr 1675 mit dem ungarischen König Leopold I. vorne und die Gottesmutter mit Jesuskind hinten, 3) eine Wallfahrtsmedaille des bayerischen Klosters Andechs, 4) ein Holzkreuz mit Perlmutteinlagen in kleinen Kreuzformen, 5) ein kreisrundes Medaillon, vorne mit dem Heiligen Johannes Nepomuk und rückseitig mit dem Marien-Monogramm, 6) das Gnadenbild von Altötting (Gottesmutter mit Jesuskind), 7) einen Fraisenstein, 8) eine Vogelkralle oder einen Keilerzahn, 9) einen Bergkristall, 10) einen Schweine-Knochen, sogenanntes „Ghörl“ (später angebracht) 11) ein Kruzifix, 12) eine Kreuzer-Münze aus dem Jahr 1777 mit Friedrich dem Großen im Profil und dem Reichsadler mit Zepter und Reichsapfel.

„Fraisenkette am Körper getragen, sollte das Krankheitsbild der „Froas“ abwenden.“ (Foto: Veronika Leopold)
„Detail: Der heilige Johannes Nepomuk ist u. a. der Schutzpatron von Bayern und Salzburg. Er steht mitunter für die Verschwiegenheit sowie seine Hilfe bei Verleumdung erbeten wird.“ (Foto:Veronika Leopold)

Generell finden sich ab dem 12. Jahrhundert Heilige auf Münzen, was Anlass gab, diese gelocht, beispielsweise am Hut aufzunähen. Der Heilige Johannes Nepomuk, hier (kaum) erkennbar an seinem Strahlenkranz aus fünf Sternen (siehe Abb. 2), ist u. a. der Schutzpatron Bayerns und Salzburgs. Er steht für die Verschwiegenheit. Außerhalb von Religion angesiedelt ist die Koralle, die vor allem den „Bösen Blick“ abwehren sollte; die Greifvogelkralle sollte durch Mut und Kraft stärken. Ähnlich ist es mit dem „Wilden Schwein“; Knochen oder Zähne von ihm sollten kräftigen und ebenso vor bösen Blicken schützen. Friedrich der Große wirft hier Fragen auf.

Aufgrund der Altöttinger Madonna und der Andechser Medaille fand diese Kette vermutlich in Oberbayern Verwendung. Zu datieren ist sie wohl in das frühe 19. Jahrhundert. 

 


Quellen: Ergert, Bernd E., Trophäe und Aberglaube, Wien 2017
Gratz, Reinhard,https://www.domquartier.at/hintergrundgeschichte/fraisenkette-und-drudenmesser, Zugriff am 18.08.2022
Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, hrsg. v. Hanns Bächtold-Stäubli unter Mitw. v. Eduard Hoffmann-Krayer, Bd. 2, Nachdr., Berlin 1986
Katalog zur 36. Sonderschau des Dommuseums zu Salzburg, hrsg. v. Peter Keller, Glaube & Aberglaube. Amulette, Medaillen & Andachtsbilchen, Bd. 2, 1. Aufl.
Salzburg 2010, (Aufsätze daraus).


Veronika Leopold

Stiftung Heimathaus Traunstein
(August 2022)

 

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