Der bürgerliche Haushalt im Biedermeier

Heute möchte ich Ihre Fantasie anregen. Meine Aufforderung also an dieser Stelle: Betrachten Sie zu Beginn die Abbildungen anbei! Ist Ihnen dieses Objekt bekannt? Verraten sei, dass es aus einem bürgerlichen Haushalt des „Biedermeier“ (1815-1848) stammt.   

Die Bezeichnung „Biedermeier“ ist zurückzuführen auf den erfundenen Verfasser spießbürgerlicher, kleingeistiger Texte; dieser Figur wurde von den realen Autoren der Name Gottlieb Biedermaier (mit „a“) gegeben. Anhand besagter Texte (1855-1857) wurde die Zeit zwischen den Napoleonischen Kriegen und der Revolution verspottet. Überstandene Kriege fördern Sehnsucht nach Ruhe, was mitunter den Fokus auf die „eigenen vier Wände“ erklärt. In Verbindung gebracht wird das Biedermeier meist mit Themen der Innenausstattung, Hauskultur, Mode, und Literatur. 

Neben politischen Umwälzungen ist das Biedermeier auch ein Ergebnis wirtschaftlicher Veränderungen. Lange in der Geschichte gab es das „Ganze Haus“, in welchem die bürgerliche Familie und die Werkstatt mit Arbeitern unter einem Dach lebte und arbeitete. Das männliche Oberhaupt der Familie wurde von seiner Gattin im Betrieb unterstützt. Mitunter verkaufte die Bürgerfrau Waren, war für den Ankauf von Rohmaterial zuständig und verwaltete das Geld. Dies wandelte sich mit der industriellen Revolution. Im 19. Jahrhundert fand eine Aufspaltung des bürgerlich familiären Lebens in einen privaten und einen öffentlichen Bereich statt; da nun auf neue Weise produziert wurde, wurde auch die Arbeit neu organisiert. Größere Werkstätten erforderten das Auslagern der Betriebe. Die Bürgerfrau wurde nun von ihren bisherigen Aufgaben im „Unternehmen“ entbunden und war fortan ausschließlich für die Besorgung des Haushalts im eigenen Heim - in dem meist eine große Nachkommenschaft auf sie wartete - zuständig. Im bäuerlichen Milieu war das anders. Dort bestand der „Ganze Haushalt“ fort und existiert teilweise noch heute als Lebensform. 

(Foto: Veronika Leopold)

Wenn also die Bürgerfrau nach ihren abendlichen Arbeiten des Nähens und Stopfens noch Freizeit hatte, wurde auch diese sinnvoll mit feinen Handarbeiten verbracht. Dafür war natürlich Licht notwendig. „Licht“ ist das Stichwort für unser Exponat (Abb. 1). Dieses zeigt auf kreisrunder Standfläche einen gedrechselten Ständer, dem oben ein runder Rahmen aufgesetzt ist. Über die Innenfläche des Rahmens spannt sich einseitig bedrucktes Seidengewebe. Der Druck zeigt im Bildzentrum eine Szene, die in eine hochgestellte ovale Form - wie ein Medaillon - eingeschrieben ist (Abb. 2): Eine junge Frau sitzend am kleinen Tisch mit einer Tätigkeit beschäftigt, die nicht klar zu deuten ist. Zu ihren Füßen ein Mädchen, ebenso sitzend, dem stehenden Buben links zugewandt. Die eingerahmte Szene wird umfangen von schmückenden Ranken und Bändern. Platziert man hinter diesem lichtdurchlässigen Seidengewebe eine brennende Kerze, erzeugt dies optisch eine reizende Wirkung. In erster Linie galt dieses Exponat dem Dämmen von Licht und wird als „Lichtschirm“ bezeichnet. Im Grunde ist der Lichtschirm einem Lampenschirm sehr ähnlich, da auch dieser eine wohlige Lichtstimmung verbreiten soll. Lichtschirme waren auf verschiedenste Weise und aus unterschiedlichen Materialien gestaltet. 

(Foto: Veronika Leaopold)

Unser Exponat zeigt eine intime Darstellung mit den Personen, die das Heimelige der Biedermeierzeit verkörpern: Frau und Kinder. Die Öffentlichkeit war ihnen nur über das männliche Familienoberhaupt, dem Hausvater, zugänglich. Eine herzerwärmende Szene aus den biedermeierlichen vier Wänden wird uns hier vor Augen geführt. Ob das alltägliche Leben darin sich auch so anfühlte, kann nur aus autobiografischen Schriften jener Zeit interpretiert werden. 

Auf biedermeierlichem Mobiliar platziert, ist der Lichtschirm im II. Obergeschoss des Heimathaus‘ Traunstein zu besichtigen.

Literatur:
Himmelheber, Georg: Kunst des Biedermeier 1815-1835. Architektur, Malerei, Plastik, Kunsthandwerk, Musik, Dichtung und Mode, 2. Aufl., München 1989.
Weber-Kellermann, Ingeborg: Frauenleben im 19. Jahrhundert. Empire und Romantik, Biedermeier, Gründerzeit, München 1983.


Veronika Leopold

Stiftung Heimathaus Traunstein
(September 2022)

 

Veranstaltung: „Kennen Sie das (noch)?“

Viele Gegenstände, die im Haushalt dienlich waren, kennen wir heute nicht mehr.
Ein paar davon aus dem Bestand des Heimathaus‘ werden an diesem Abend vorgestellt.

Die Veranstaltung ist barrierefrei zugänglich.
Ich freue mich sehr auf Ihr Kommen!
Veronika Leopold

Ort: Heimathaus Traunstein, Stadtplatz 2-3, Erdgeschoss
Zeitpunkt: 26.10.2022, 18 Uhr (bis ca. 19 Uhr)
Eintritt: kostenlos

 

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