Über die Erzählkraft eines unvollständigen Exponats 

Die Bildhauerei war einst ein abgestecktes Betätigungsfeld, das die künstlerische Ausführung von Stein und Holz beinhaltete. Nach und nach hat sie sich um andere Materialien erweitert. Dazu zählen u. a. Ton, Wachs und Metall. Nun stellt sich die Frage nach der Begrifflichkeit. Oftmals werden die Begriffe „Plastik“ und „Skulptur“ den falschen Kategorien zugeordnet. Eine Plastik beschreibt ein Objekt, das mit „wachsendem“ Material angefertigt wird. Ton und Wachs erfüllen diese Anforderungen, da sie aufgetragen bzw. hinzugefügt werden. Bei Stein und Holz verhält es sich anders; bei der Bearbeitung wird Material abgetragen, was die Bezeichnung „Skulptur“ erfordert. Der Lindl am Brunnen in Traunstein ist demnach eine Skulptur. 

Welchem Begriff würden Sie dem abgebildeten „Bildnis“ – wir wollen es „Königskopf“ nennen - zuordnen? Vielleicht erkennen Sie in der Detail-Abbildung die Wurmstiche und die Maserung. Dass es sich demnach um Holz handelt, ist also offensichtlich. Während das Gesicht des Königs gefasst, d. h. mit Farbe versehen ist, zeigt sich die Krone in unvollständiger Ausführung. Da der Kopf auf der Rückseite eine grob geschnitzte Aushöhlung in Muldenform aufweist und mittels Haken für eine Aufhängung versehen ist, dient er nicht für die sogenannte Allansicht, sondern zur Frontalbetrachtung. Von der Nasenspitze bis zur Objektrückseite beträgt die Holztiefe ungefähr 10 cm bei einer Objektlänge von 44 cm. Dieses Objekt kann auch als „Relief“ bezeichnet werden, da es rückseitig flach aufliegt und die Schauseite durch Materialvertiefungen lebt. Definitiv ist es keine Maske. Dabei drängen sich weitere Fragen auf: Haben wir es hier vielleicht mit einem Fragment einer einstigen Ganzkörperskulptur zu tun, die im Nachhinein zu dieser Form „zugeschnitten“ wurde? Oder handelt es sich um ein Bewerbungsobjekt, mit dem der Künstler die Zunftmeister und Räte der Stadt von seiner Kunst überzeugen wollte? Die schlichte historische Aufhängevorrichtung rückseitig verrät jedenfalls, dass dieser Kopf schon eine lange Zeit für die Wand bestimmt ist.

„Königskopf“ aus Holz geschnitzt, gefasst und datiert nach 1674 oder später. Von Albert Rosenegger dem Bildhauer Georg Pämer zugeschrieben.(Foto: Veronika Leopold)
Detailansicht der Krone aus dem sog. „Königskopf“ (Foto: Veronika Leopold).

Als Bildhauer nennt Kreisarchivar Albert Rosenegger den in Traunstein von 1674 bis 1713 tätigen Georg Pämer, der ebenso für eine „Prozessionsmonstranz mit Bischof“ verantwortlich zeichnet (ausgestellt im Heimathaus). Der Königskopf ist wohl in das letzte Viertel des 17. Jahrhunderts zu datieren. Es ist fraglich, ob die Fassung zu einem späteren Zeitpunkt aufgetragen oder erneuert wurde. Restauratorische Maßnahmen am Material wurden jedenfalls vorgenommen. Ob die zwei Holzkeile in der Krone Teile der ursprünglichen Arbeit Pämers sind, ist nicht festzustellen.

Der Künstler beweist Könnerschaft vor allem anhand feiner Ausführung der lockigen Haarpracht und des sprechenden Mundes mit vier Schneidezähnen. Im Zusammenspiel zwischen Schnitz- und Malkunst ist die letztere in ihrer Aussagekraft nicht zu unterschätzen. Bei unserem Königskopf ist die heutige (originale?) Fassung meiner Meinung nach eine gelungene Arbeit. Allerdings kann Farbe den ursprünglichen Ausdruck eines geschnitzten Werks auch verändern. 

Mit einer länglichen Gesichtsform, der hohen Stirn und den hageren Wangen zeigt sich das Bildnis eines sehr schmalen Mannes. Wacher Blick und sprechender Mund vermitteln Kommunikation mit dem Gegenüber. Die Krone verdient besondere Aufmerksamkeit, da sie als einziges Detail am Objekt nicht gefasst ist. Gerne wird angenommen, dass es sich bei diesem Exponat um einen „Christkönig“, also den auferstandenen gekrönten Christus handelt; der Gesamtausdruck lässt darauf schließen. Leider kann dies nicht zur Gänze bestätigt werden. Es könnte sein, dass die Krone einst eine Mitra (Bischofsmütze) oder eine Tiara (Papstkrone) war und dann – vielleicht aufgrund von Materialschäden – zu einem König umgearbeitet werden sollte. Oder der Künstler konnte das Werk schlichtweg nicht vollenden. Die Unvollständigkeit des Objekts wird auch durch die Vorzeichnungen am oberen Ende der Krone verdeutlicht. Der Idee Albert Roseneggers, es könnte sich um ein „Maisterstuck“, also um das Bewerbungsstück für die Aufnahme in die Zunft handeln, kann hier sehr viel abgewonnen werden. Fakten sind jedenfalls, dass dieses Objekt aus einem Holzstück gefertigt wurde (mit Ausnahme der Holzkeile in der Krone) und dass die Ausführung der Krone nicht abgeschlossen ist. 

Wenn dieser Königskopf auch viel zu erzählen hat, bleibt doch einiges im Ungewissen. Dies bietet Spielraum für Überlegungen, die zur Lebendigkeit eines Objekts beitragen können. 

Großer Dank gilt Kreisarchivar Albert Rosenegger für den inspirierenden fachlichen Austausch.

Rosenegger, Albert: Als Bildhauer nennt Kreisarchivar Albert Rosenegger den in Traunstein von 1674 bis 1713 tätigen Georg Pämer, der ebenso für eine „Prozessionsmonstranz mit Bischof“ verantwortlich zeichnet (ausgestellt im Heimathaus).

Veronika Leopold
Stiftung Heimathaus Traunstein
(April 2022) 

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