"Die Passion Christi" oder "Sehen Sie sich das an!"

Schaukasten aus der Austellung 2020, Foto: Silvia Fröhler

Seit dem 11.11. befinden wir uns in der Faschingszeit. Landläufig geprägt vom Krapfen-Genuss, gipfelt sie für gewöhnlich in Faschingsumzügen. Ohne die nachfolgenden Positionen jedoch kann kein Faschingsumzug funktionieren: Auf der einen Seite ist es die Bühne mit ihren Aktricen und Akteuren und auf der anderen Seite tummelt sich das schaulustige Publikum. Grundsätzlich interessieren wir Menschen uns für alles, was sich vor unseren Augen bewegt. Wir beobachten gespannt, was draußen auf der Straße vor sich geht. Manche tun das im Verborgenen, andere lehnen sich kommunikativ über die Fensterbrüstung und versuchen gar nicht erst, ihren Wissensdurst zu leugnen. Wenn Sie nun die erste Abbildung hier betrachten, sehen Sie einen Schaukasten mit einem gemalten Bild darin. Sieht dieses Objekt in der Form nicht aus wie ein modernes Fernsehgerät? Vielleicht können Sie sich noch an einen erstmals aufgestellten Fernseher erinnern. Nachbarn saßen mit den Eigentümern eng zusammen, um das Geschehen im Flimmerkasten verfolgen zu können.

Welche Wirkung hatte wohl ein „bewegtes Bild“ für den Menschen im 19. Jh.? Statische Skulpturen und imposante Kirchenausstattung in den Städten vermochten es vielleicht, das Volk zu beeindrucken. Wo aber konnten sich einfache Menschen an theatralen Aufführungen ergötzen? Auch wenn die Kirche nicht die Erfinderin des Theaters ist, wusste sie dieses zu nutzen. Bis ins Mittelalter sind Passionsspiele oder auch Mysterienspiele - die an die Karfreitagsliturgie gebunden waren - zurückzuverfolgen. Sie machten das Leiden mit-erlebbar. Ein Beispiel für die theatrale Darbietung der Passion ist das „Oberammergauer Passionsspiel“. Es findet seit 1634 (fast) alle zehn Jahre statt, begründet mit dem Gelübde, das 1633 nach der überwundenen Pest von Oberammergauer Bürgern abgelegt wurde. Ins Gedächtnis eingeschrieben war der Leidensweg Christi ohnehin aufgrund der Kreuzwegstationen an Kirchenwänden sowie der überlebensgroßen Stationen vor Wallfahrtskirchen.

Der hier vorgestellte „Schaukasten“ aus dem Heimathaus Traunstein zeigt im Mittelfeld die Szene aus der Leidensgeschichte Jesu, in der er vor Pontius Pilatus geführt wird. Des Weiteren weist der Kasten spannende Bezüge auf. In Größe und Form gleicht er mit Außenmaßen von 36, 54, 14 cm weniger einem altertümlichen Fernseher als einem Flachbildschirm. Der seitlich abgerundete Holzrahmen ist in der Art von Bauernkästen bemalt mit blauem Grund und roten Rosen darauf. Die verglaste Schaufläche ist gerahmt von einer aufgeklebten Borte, die an Theaterbühnen erinnert. Dieser Rahmen verdeutlicht den Fokus auf das zur Schau gestellte Bild. Im Inneren des Kastens ist links und rechts jeweils eine Rolle montiert, über die ein durchgehendes bemaltes Transparentpapier gewickelt ist. Mit der Betätigung der Drehkurbel am Kastendeckel kann dieses abgespult werden. Die Umrisse der wichtigsten Bildinhalte von insgesamt 22 Szenenbilder sind in kleinen Abständen durchgehend gelocht. Hinter dem Papier kann man mittels einer Lichtquelle bei einer Darbietung im Dunkeln wohl einen spannenden Effekt erzeugen.

Einzelne Transparentbilder, die zu geselligen Ereignissen vorgeführt wurden, kamen zu Ende des 17. Jh. auf. Im Kontext mit unserem Schaukasten ist der am Pariser Hof tätige Louis Carmontelle (1717-1806) zu nennen. Er schuf ein bis zu 18 m langes, auf chinesisches Papier gemaltes Transparent, das in einem 50 cm hohen Kasten vor einer brennenden Kerze abgewickelt wurde. Carmontelles Bilder waren unterhaltsamer Art wie lustwandelnde Gesellschaften oder Gondelfahrten.

Die Szenenbilder im Traunsteiner Kasten sind jedoch stark christlich konnotiert. An 16 Szenen aus dem Leiden und der Auferstehung Christi reiht sich das Gnadenbild von Absam in Tirol mit dem Abbild der Gottesmutter. Die restlichen Szenen bestreitet ein Schützenzug, von der Geistlichkeit angeführt. Für eine Datierung des Schaukastens in das 19. Jh. spricht vor allem das Gnadenbild von Absam, das auf ein übermitteltes Wunder aus dem Jahr 1797 zurückzuführen ist. Erfreulich sind vorhandene Dias der Einzelszenen, die eine genauere Betrachtung ermöglichen. Daraus ist hier die Szene der Pieta mit Maria und Jesus zu sehen. Detailliert gestaltet, sind sogar die Tränen der Gottesmutter zu erkennen.

Szene: Christus vor Pontius Pilatus, Foto: Veronika Leopold
Szene: Pieta, Foto: Veronika Leopold

Auszugehen ist davon, dass mit den Transparentbildern Gefühle stimuliert werden sollten. Bei den Szenen in unserem Objekt liegt der Fokus wohl auf christlicher Lehre und Andacht.

Der Schaukasten ist voraussichtlich wieder ab 9. März 2022 im Heimathaus Traunstein zu besichtigen.

Literatur:
Manfred Brauneck und Gérard Schneilin (Hrsg.), Theaterlexikon. Begriffe und Epochen, Bühnen und Ensembles, 3. vollständig überarb. Neuausgabe, Reinbeck bei Hamburg 1992. - David Robinson, Vorwort. In: Der Guckkasten. Einblick – Durchblick – Ausblick, Stuttgart 1995. - Birgit Verwiebe, Vom Guckkasten zum Transparentbild. In: Der Guckkasten. Einblick – Durchblick – Ausblick, Stuttgart 1995. 

Veronika Leopold
Stiftung Heimathaus Traunstein
(Januar 2022)

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