Aktuelles
Schlüssel: Gebrauchsgegenstand und Kunsthandwerk
Schlüsselformen innerhalb von 500 Jahren
Schlüssel und Schloss gehen bereits seit Jahrtausenden einen gemeinsamen Weg. Schon im Alten Ägypten wurde ein kompliziertes Riegelsystem mit Schloss und Schlüssel verwendet. Das Heimathaus Traunstein birgt eine kleine, aber repräsentative Sammlung an Schlössern und Schlüsseln vergangener Jahrhunderte. Die hier ausgewählten Exemplare an Schlüsseln sind in der Reihenfolge abgebildet wie sie zeitlich entstanden sind. Datierungen von Schlüsseln bewegen sich grundsätzlich zwischen 100 und 200 Jahren. Dass in verschiedenen Regionen auch die Formen der Ausarbeitung Unterschiede aufwies, wird bei intensiver Auseinandersetzung deutlich. So wurden beispielsweise in der französischen Renaissance außerordentlich fein ausgearbeitete Schlüssel mit vielen schmückenden Elementen für Truhenschlösser hergestellt.
Die Grundbestandteile eines Schlüssels sind: Reide (Griff), Dorn oder Halm (Schaft), Gesenk (Verbindungsglied zwischen Griff und Schaft, nicht immer vorhanden) sowie Bart (meist rechteckig am Schaftende angesetzt, mit Einschnitten). In der 1. Abbildung links ist ein überdimensional großer Schlüssel zu sehen mit einer Länge von 30 cm. In seiner Größe und mit der rautenförmigen Reide (Griff) ist er ein typisches Beispiel eines gotischen Schlüssels aus dem 14. oder 15. Jahrhundert. Die Ecken sind flach und kreisrund geschmiedet. Allein die Reide hat eine Länge von 13 cm. Mit dieser Greiffläche lag der Schlüssel beim Drehen wohl gut in der Hand. Der Dorn (Schaft) ist hohl und weist auf der Außenseite Ausbesserungen bzw. Materialverstärkungen auf. Der Bart zeigt breite klare Einschnitte und das Gesenk (Verbindungsglied) umfängt den Dorn als Band. In der Romanik - die Epoche vor der Gotik - waren Gesenke an Schlüsseln noch nicht üblich. An diesem Schlüssel ist das Schmiedehandwerk deutlich zu erkennen. Der zweite Schlüssel ist in seiner Dimension und Ausführung nicht vergleichbar mit dem gotischen Beispiel. Eine Gemeinsamkeit haben beide anhand des Dorns (Schaft), der innen hohl ist. Es handelt sich um ein Exemplar aus der Renaissance, vermutlich dem 16. Jahrhundert. Die Reide ist dreifach durchbrochen mit einem Aufsatz, ähnlich einer Laterne. Im Bart ist ein Einschnitt in der Form eines Sternes mit sechs Strahlen zu erkennen (Abbildung 2). Grundsätzlich sind in der Kunst der Renaissance auch zarte musterhafte Schmuckelemente zu entdecken. Das heißt, dass Formen der jeweiligen Epoche in den verschiedenen Gattungen oftmals sehr ähnlich sind. Mit Gattungen sind gemeint: Malerei, Grafik, Bildhauerei, Baukunst; vielleicht findet sich also diese Form der Reide in einem schmiedeeisernen Torgitter der Renaissance wieder. Der dritte Schlüssel zeigt sich abermals in einem völlig anderen Bild, massiv und klar. Wir befinden uns nun in der Zeit des Barock, im 17. und 18. Jahrhundert. Ähnlich wie die voluminösen raumgreifenden Stuckarbeiten im Barock, so kraftvoll drückt sich dieser Schlüssel aus. Die wulstige Reide und das gequetschte Kugelgesenk transportieren diese Formensprache. In den gleichmäßigen Einschnitten des Barts ist eine sich wiederholende Kreuzform sichtbar. Die Kreuzform auf Schlüsselbärten kommt sehr oft in den verschiedenen Epochen vor. Bei Darstellungen des Hl. Petrus mit seinen Himmelsschlüsseln ist diese auch auf den Schlüsseln zu finden, so wie bei unserem vierten Beispiel. Auffällig an diesem Exponat ist das lang gezogene Gesenk mit Verkröpfung, wieder mit gequetschter Kugel. Die Reide ist rund und schlicht; ihre Enden ragen als Spitze in diese hinein. Das letzte Beispiel mit einem Volldorn (unten geschlossener Schaft) in Knopfform endend, ist in seiner Ausarbeitung einfach geartet. Im 19. Jahrhundert entstanden, handelt es sich bereits um die Zeit der Industrialisierung. Schlüssel dieser Zeit erhielten oftmals keine Schmuckelemente. In der genauen Betrachtung fällt auf, dass der Bart dieses Objekts aus zwei Teilen besteht. Auch diese Eigenart findet sich bei Schlüsseln des 19. Jahrhunderts des Öfteren.
Die hier ausgewählten Beispiele sollen kunsthandwerkliches Können und stilistische Veränderungen vergangener Jahrhunderte in Form eines Gebrauchsgegenstandes - des Schlüssels - veranschaulichen.
Literatur:
Pall, Martina, Schlüssel und Schlösser. Exponate aus der Schell Collection Graz, Graz 2012.
Pankofer, Heinrich, Schlüssel und Schloß. Schönheit, Form und Technik im Wandel der Zeiten(aufgezeigt an der Sammlung Heinrich Pankofer, München)
München 1984.
Veronika Leopold
Stiftung Heimathaus Traunstein
(Oktober)
Gefördert durch die Landesstelle für die nichtstaatlichen Museen in Bayern
Biedermeier – In den eigenen vier Wänden
Der bürgerliche Haushalt im Biedermeier
Heute möchte ich Ihre Fantasie anregen. Meine Aufforderung also an dieser Stelle: Betrachten Sie zu Beginn die Abbildungen anbei! Ist Ihnen dieses Objekt bekannt? Verraten sei, dass es aus einem bürgerlichen Haushalt des „Biedermeier“ (1815-1848) stammt.
Die Bezeichnung „Biedermeier“ ist zurückzuführen auf den erfundenen Verfasser spießbürgerlicher, kleingeistiger Texte; dieser Figur wurde von den realen Autoren der Name Gottlieb Biedermaier (mit „a“) gegeben. Anhand besagter Texte (1855-1857) wurde die Zeit zwischen den Napoleonischen Kriegen und der Revolution verspottet. Überstandene Kriege fördern Sehnsucht nach Ruhe, was mitunter den Fokus auf die „eigenen vier Wände“ erklärt. In Verbindung gebracht wird das Biedermeier meist mit Themen der Innenausstattung, Hauskultur, Mode, und Literatur.
Neben politischen Umwälzungen ist das Biedermeier auch ein Ergebnis wirtschaftlicher Veränderungen. Lange in der Geschichte gab es das „Ganze Haus“, in welchem die bürgerliche Familie und die Werkstatt mit Arbeitern unter einem Dach lebte und arbeitete. Das männliche Oberhaupt der Familie wurde von seiner Gattin im Betrieb unterstützt. Mitunter verkaufte die Bürgerfrau Waren, war für den Ankauf von Rohmaterial zuständig und verwaltete das Geld. Dies wandelte sich mit der industriellen Revolution. Im 19. Jahrhundert fand eine Aufspaltung des bürgerlich familiären Lebens in einen privaten und einen öffentlichen Bereich statt; da nun auf neue Weise produziert wurde, wurde auch die Arbeit neu organisiert. Größere Werkstätten erforderten das Auslagern der Betriebe. Die Bürgerfrau wurde nun von ihren bisherigen Aufgaben im „Unternehmen“ entbunden und war fortan ausschließlich für die Besorgung des Haushalts im eigenen Heim - in dem meist eine große Nachkommenschaft auf sie wartete - zuständig. Im bäuerlichen Milieu war das anders. Dort bestand der „Ganze Haushalt“ fort und existiert teilweise noch heute als Lebensform.
Wenn also die Bürgerfrau nach ihren abendlichen Arbeiten des Nähens und Stopfens noch Freizeit hatte, wurde auch diese sinnvoll mit feinen Handarbeiten verbracht. Dafür war natürlich Licht notwendig. „Licht“ ist das Stichwort für unser Exponat (Abb. 1). Dieses zeigt auf kreisrunder Standfläche einen gedrechselten Ständer, dem oben ein runder Rahmen aufgesetzt ist. Über die Innenfläche des Rahmens spannt sich einseitig bedrucktes Seidengewebe. Der Druck zeigt im Bildzentrum eine Szene, die in eine hochgestellte ovale Form - wie ein Medaillon - eingeschrieben ist (Abb. 2): Eine junge Frau sitzend am kleinen Tisch mit einer Tätigkeit beschäftigt, die nicht klar zu deuten ist. Zu ihren Füßen ein Mädchen, ebenso sitzend, dem stehenden Buben links zugewandt. Die eingerahmte Szene wird umfangen von schmückenden Ranken und Bändern. Platziert man hinter diesem lichtdurchlässigen Seidengewebe eine brennende Kerze, erzeugt dies optisch eine reizende Wirkung. In erster Linie galt dieses Exponat dem Dämmen von Licht und wird als „Lichtschirm“ bezeichnet. Im Grunde ist der Lichtschirm einem Lampenschirm sehr ähnlich, da auch dieser eine wohlige Lichtstimmung verbreiten soll. Lichtschirme waren auf verschiedenste Weise und aus unterschiedlichen Materialien gestaltet.
Unser Exponat zeigt eine intime Darstellung mit den Personen, die das Heimelige der Biedermeierzeit verkörpern: Frau und Kinder. Die Öffentlichkeit war ihnen nur über das männliche Familienoberhaupt, dem Hausvater, zugänglich. Eine herzerwärmende Szene aus den biedermeierlichen vier Wänden wird uns hier vor Augen geführt. Ob das alltägliche Leben darin sich auch so anfühlte, kann nur aus autobiografischen Schriften jener Zeit interpretiert werden.
Auf biedermeierlichem Mobiliar platziert, ist der Lichtschirm im II. Obergeschoss des Heimathaus‘ Traunstein zu besichtigen.
Literatur:
Himmelheber, Georg: Kunst des Biedermeier 1815-1835. Architektur, Malerei, Plastik, Kunsthandwerk, Musik, Dichtung und Mode, 2. Aufl., München 1989.
Weber-Kellermann, Ingeborg: Frauenleben im 19. Jahrhundert. Empire und Romantik, Biedermeier, Gründerzeit, München 1983.
Veronika Leopold
Stiftung Heimathaus Traunstein
(September 2022)
Veranstaltung: „Kennen Sie das (noch)?“
Viele Gegenstände, die im Haushalt dienlich waren, kennen wir heute nicht mehr.
Ein paar davon aus dem Bestand des Heimathaus‘ werden an diesem Abend vorgestellt.
Die Veranstaltung ist barrierefrei zugänglich.
Ich freue mich sehr auf Ihr Kommen!
Veronika Leopold
Ort: Heimathaus Traunstein, Stadtplatz 2-3, Erdgeschoss
Zeitpunkt: 26.10.2022, 18 Uhr (bis ca. 19 Uhr)
Eintritt: kostenlos
Heilserwartung heiligt Heilsversuche
Die Fraisenkette zwischen Glauben und Aberglauben
Der Mensch versucht seit jeher Unheil von sich fernzuhalten. Einerseits tut er das durch vorbeugendes Handeln und andererseits bekämpft er bereits vorhandene Übel. Einst spielte dabei der Glaube an eine „Höhere Gewalt“ eine wesentliche Rolle. In Bayern wie auch in Österreich besteht nach wie vor der größte Anteil von Menschen der christlichen Religion aus katholischen Gläubigen. Im Katholizismus war es üblich, Gott, die heilige Familie und alles, was die katholische Kirche betraf, bildhaft oder plastisch darzustellen. Jesus Christus in Form einer Statue anzubeten, ist nichts Außergewöhnliches für Gläubige. Ungeachtet dessen, was die Institution Kirche mit bildhaften Darstellungen zu beabsichtigen suchte, ist der Gedanke, anhand eines „Abbildes“ das Gebet zu fördern und zu erleichtern, nachvollziehbar. Alle Sinne ansprechen! – So lautet auch heutzutage das Credo. Schaut man auf eine Figur und darf man diese auch noch berühren, ist eine Verbindung hergestellt. Als Exkurs will ich die im Petersdom in Rom befindliche Bronzefigur des Heiligen Simon Petrus erwähnen (um 1300 von Arnolfo di Cambio), dessen Füße aufgrund der unzähligen Berührungen von Pilgernden bereits abgegriffen sind.
Abseits der Kirche wurde auch profanen Gegenständen Heilskräfte nachgesagt - eben auch in Form von Berührung. Manchmal war ein solcher Gegenstand gekoppelt an eine Handlung. Dies alles fiel unter den Sammelbegriff „Aberglaube“. Jedoch ist unklar, wo genau die Grenze zwischen Glauben und Aberglauben verlief. Oftmals floss beides ineinander.
Ein besonderes Objekt, das sich weder von Glauben noch Aberglauben trennen lässt, ist die „Fraisenkette“. Die einstmals bezeichnete „Frais“ oder „Froas“ steht für furcht- und schreckenerregende sowie wut- und zornbezeichnende Zustände. Seltener waren alte Menschen davon betroffen, viel häufiger waren es Kinder. Die Heilungsversuche waren vielseitig. Man riet, eine Brautschürze unter den Kopf des Kindes zu legen oder ein Bad in dem Wasser eines Baches zu nehmen, worüber eine Leiche getragen wurde. Ursache dieser krampfhaften Schübe sind ungeklärt, vermutlich waren auch Schrecken und Leid in der Schwangerschaft Gründe für die „Froas“. Deshalb erhoffte man sich Heil durch eine Ohrfeige oder Lärm. Denn durch Schrecken kam sie, und durch Schrecken konnte sie auch wieder gehen.
Eine Fraisenkette besteht aus Amuletten, Gegenständen aus unterschiedlichen Materialien, die man am Körper trug. Sie hatte den Zweck, die „Froas“ fernzuhalten. Dass sie eine ungerade Anzahl an Amuletten aufweisen musste, entspringt dem Glauben an die Religion wie jenem an die Magie. Die Amulette sollten magische Kräfte aktivieren sowie als Medizin fungieren. Der Begriff „Medizin“ wurde vor der wissenschaftlichen Schulmedizin nicht so abgegrenzt gesehen wie heute.
Unser Exponat aus dem Heimathaus (siehe Abb. 1) zeigt zwölf Anhänger, wovon einer zu einem späteren Zeitpunkt angebracht worden war. Im Uhrzeigersinn von links oben beginnend, zeigt die Kette 1) einen Korallenast, 2) eine 15-Kreuzer-Münze aus dem Jahr 1675 mit dem ungarischen König Leopold I. vorne und die Gottesmutter mit Jesuskind hinten, 3) eine Wallfahrtsmedaille des bayerischen Klosters Andechs, 4) ein Holzkreuz mit Perlmutteinlagen in kleinen Kreuzformen, 5) ein kreisrundes Medaillon, vorne mit dem Heiligen Johannes Nepomuk und rückseitig mit dem Marien-Monogramm, 6) das Gnadenbild von Altötting (Gottesmutter mit Jesuskind), 7) einen Fraisenstein, 8) eine Vogelkralle oder einen Keilerzahn, 9) einen Bergkristall, 10) einen Schweine-Knochen, sogenanntes „Ghörl“ (später angebracht) 11) ein Kruzifix, 12) eine Kreuzer-Münze aus dem Jahr 1777 mit Friedrich dem Großen im Profil und dem Reichsadler mit Zepter und Reichsapfel.
Generell finden sich ab dem 12. Jahrhundert Heilige auf Münzen, was Anlass gab, diese gelocht, beispielsweise am Hut aufzunähen. Der Heilige Johannes Nepomuk, hier (kaum) erkennbar an seinem Strahlenkranz aus fünf Sternen (siehe Abb. 2), ist u. a. der Schutzpatron Bayerns und Salzburgs. Er steht für die Verschwiegenheit. Außerhalb von Religion angesiedelt ist die Koralle, die vor allem den „Bösen Blick“ abwehren sollte; die Greifvogelkralle sollte durch Mut und Kraft stärken. Ähnlich ist es mit dem „Wilden Schwein“; Knochen oder Zähne von ihm sollten kräftigen und ebenso vor bösen Blicken schützen. Friedrich der Große wirft hier Fragen auf.
Aufgrund der Altöttinger Madonna und der Andechser Medaille fand diese Kette vermutlich in Oberbayern Verwendung. Zu datieren ist sie wohl in das frühe 19. Jahrhundert.
Quellen:
Ergert, Bernd E., Trophäe und Aberglaube, Wien 2017
Gratz, Reinhard,https://www.domquartier.at/hintergrundgeschichte/fraisenkette-und-drudenmesser, Zugriff am 18.08.2022
Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, hrsg. v. Hanns Bächtold-Stäubli unter Mitw. v. Eduard Hoffmann-Krayer, Bd. 2, Nachdr., Berlin 1986
Katalog zur 36. Sonderschau des Dommuseums zu Salzburg, hrsg. v. Peter Keller, Glaube & Aberglaube. Amulette, Medaillen & Andachtsbilchen, Bd. 2, 1. Aufl.
Salzburg 2010, (Aufsätze daraus).
Veronika Leopold
Stiftung Heimathaus Traunstein
(August 2022)
Ehre verloren, alles verloren
Die Schandmaske als Teil der Ehrenstrafe
Eine Maske hat immer zwei Seiten: eine ist nach außen gewandt und die andere richtet sich an das verborgene Gesicht. Als Kommunikationsmittel ist sie Vermittlerin zwischen Welt und Individuum. Das hier thematisierte und abgebildete Beispiel zeigt eine sogenannte „Schandmaske“ aus dem Heimathaus.
Grundsätzlich fanden Schandmasken als Teil der „Ehrenstrafe“ in der Neuzeit Anwendung. Ehrenstrafen verbreiteten sich in Deutschland zuerst in den südlichen Gebieten, angrenzend an die Schweiz und Österreich. Wenn auch untergeordnet, waren diese ein Bestandteil der „Carolina“, der Strafrechtskodifikation Kaiser Karls V. für das gesamte Heilige Römische Reich Deutscher Nation 1532. In Kombination mit dem Pranger waren Schandmasken vor allem in Franken gängige Strafmittel. Ab dem 18. Jahrhundert kamen sie jedoch immer seltener zur Anwendung. Mit der Schandmaske um den Kopf geschnallt wurden Bestrafte dem Volk vorgeführt, bloßgestellt und dem Gespött preisgegeben. Diese Maske war keine Leibesstrafe, sollte die Verurteilten körperlich nicht verletzen. Mit ihrer Anwendung wurde die „niedere“ Gerichtsbarkeit tätig, da es sich um geringfügige Delikte handelte. Die Macht, diese Strafe zu verhängen, lag also bei den Räten der Stadt wie auch den Adligen. Der Begriff „Ehre“ beinhaltet mehrere Faktoren und ist schwer zu fassen. Die Ehre ist immer im geschichtlichen Kontext zu denken. Maßstäbe vor 400 Jahren sind nicht vergleichbar mit jenen von heute. Psychologische Aspekte im Hinblick auf den individuellen Charakter sowie eine ethische Komponente sind ebenso Teile der Ehre. Hinzu kommt die Unterteilung der „inneren“ und „äußeren“ Ehre. Erstere betrifft die eigene Sicht auf sich selbst, was vor allem die Selbstachtung meint. Die „äußere“ Ehre basiert auf Achtung und Anerkennung von anderen Menschen oder gar von einer ganzen Gesellschaft. Allein gesellschaftliche Ignoranz auf einzelne konnte die Ehre auf einen Nullpunkt setzen. Wenn zudem noch die Ehrenstrafe vollzogen wurde, kippte dies schlagartig ins Negative. Im Bayern des beginnenden 18. Jahrhunderts lautete ein Sprichwort: „Ehre verloren, alles verloren“. Wurde also einer bürgerlichen Person die Ehre entzogen, wog dies schwerer als einige Leibesstrafen. Bis zum Ende des 30-jährigen Krieges galt die Ehre als Basis der Volkskultur. Aufgrund des manifestierten Traditionalismus der Bevölkerung konnte ein Aufweichen dieses harten Bodens nur langsam erfolgen.
Ein Beispiel aus dem Jahr 1692 lässt die Tragik des Ehrempfindens vergangener Tage spürbar werden: Eine Frau hatte ein Leintuch gestohlen und wurde der Stadt verwiesen. Am selben Tag erfror sie vor der Stadtmauer, weil niemand sich ihrer annahm. „Verlor“ man seine Ehre, verlor man die Persönlichkeit und die Rolle, die man bisher in der Gesellschaft eingenommen hatte. Im schlimmsten Fall verlor man das Leben. Sebastian Knott definiert die Ehrlosigkeit in Bayern wie folgt: „Die Tat machte ehrlos und ihr folgte eine Strafe, die diese Ehrlosigkeit darstellte.“ (Knott, 2006, S. 26) Dass die Schandmaske explizit zum Ziel hatte die Bestraften völlig ihrer Ehre zu entziehen, ist schwer zu sagen. Wurde sie doch für mindere Verfehlungen angewandt. Diese betrafen mitunter Tratsch- oder Zanksucht, Fluchen, Beleidigung der Obrigkeit, handwerklichen Pfusch oder moralisches Fehlverhalten. Eine Ähnlichkeit zwischen Schandmaske und „spiegelnder Strafe“ ist gegeben. In ihrer Ausführung verweisen beide auf die Art des Vergehens. In unserem Fall sind die Aufschrift und die Ohren Hinweise dafür. Mit „Für Böße Zungen“ und der dominanten Ausarbeitung der Ohren sind wohl Tratsch und Beleidigung gemeint. Die mit Schandmaske Verurteilten blieben nicht unerkannt. Da es sich meist um überschaubare Orte handelte, man sich untereinander kannte, wurde rasch verbreitet, wer sich hinter der Maske verbarg - und weshalb.
In Traunstein ist die Verwendung von Schandmasken laut Stadtarchiv nicht nachweisbar. Allerdings befand sich zwischen Rathaus und der Kirche St. Oswald ein Pranger. Pranger waren unterschiedlich ausgeführt; dies hing von den zur Verfügung stehenden Mitteln ab sowie davon, ob es sich um den gängigen „hochgerichtlichen“ oder den „niedergerichtlichen“ Pranger handelte. Faktisch förderte das einfache Prangerstehen zu Zeiten des sonntäglichen Kirchganges das Verspotten und Verurteilen möglichst vieler Menschen. Zugleich war es Warnung für die Bevölkerung.
Quellen:
Germanisches Nationalmuseum,https://www.gnm.de/objekte/schandmaske/,Zugriff am 17.07.2022.
Knott, Sebastian, Bei der Ehre gepackt! Die Ehrenstrafe in Bayern seit 1700, Regensburg 2006.
Kreissl, Eva (Hrsg.), Maske und Macht. In: Die Macht der Maske, Graz 2006, S. 7-18.
Weitere Inhalte sind einem Aktenvermerk von Stadtarchivar Franz Haselbeck an den ehemals amtierenden Oberbürgermeister aus dem Jahr 1990 entnommen.
Besten Dank dafür an Herrn Haselbeck!
Veronika Leopold
Stiftung Heimathaus Traunstein
(Juli 2022)